Das andere Europa – Eindrücke vom Linke-Parteitag: Gelebter Internationalismus geht an der EU vorbei
Leicht erkältet, aber energisch trat Özlem Demirel am Samstag abend auf dem Bonner Parteitag der Partei Die Linke ans Mikrofon – und zitierte nach einer kurzen Begrüßung erst einmal, was sie zu hören bekommt, seit die Vorsitzenden sie und Martin Schirdewan als Spitzenkandidaten für die Europawahl im Mai vorgeschlagen haben. »Frau Demirel, sind Sie Europäerin? Frau Demirel, sind Sie für oder gegen Europa? Bekennen Sie sich zu Europa?« Diese Frage werde ausgerechnet ihr gestellt, während Kanzlerin Merkel und Exfinanzminister Schäuble als große Europäer gefeiert würden, kritisierte sie und warf den CDU-Politikern vor, Griechenland erpresst und Spardiktate verordnet zu haben. »Nein, liebe Genossinnen und Genossen, dieses Spiel spielen wir nicht mit«, so die Gewerkschaftssekretärin und Ex-NRW-Landesschefin ihrer Partei. Europa, das seien für sie die Kolleginnen und Kollegen bei Amazon und Ryanair, sagte sie mit Blick auf grenzübergreifende Streiks. Auch nannte sie die »Seebrücke«, die Mieterinnen- und Mieterbewegung sowie die Klimaschutzdemos unter dem Motto »Fridays for Future« als Beispiele.
Die knapp 35jährige war 1989 als Kind politischer Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und als Jugendliche in der Föderation Demokratischer Arbeitervereine aus der Türkei (DIDF) aktiv geworden. Mit großer Mehrheit bestätigte die Vertreterinnen- und Vertreterversammlung am Samstag Demirel und Schirdewan als Spitzenkandidaten für die Wahl am 26. Mai.
Verschiedene Welten
Welten lagen zwischen Demirels Rede und dem Sprachgebrauch mancher Politiker ihrer Partei, die Internationalismus und EU-Befürwortung stark vermengen.
Die Kovorsitzende der Linken, Katja Kipping, hatte zu Beginn des Parteitags im Bonner World Conference Center betont: »Wir wollen kein Auseinanderbrechen der EU.« Deren aktuelle Verfasstheit hatte sie allerdings scharf kritisiert. Unter anderem, weil EU-Regierende momentan vor allem dann zusammenfänden, wenn es um Aufrüstung gehe – und weil die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit europäische Wanderarbeiter nicht vor extremer Ausbeutung schütze. »Europa muss sozial werden, oder es scheitert«, sagte Kipping.
Bei vielen Gelegenheiten wurde an diesem Wochenende deutlich, dass Internationalismus in der Partei Die Linke ganz unabhängig von der EU gelebt wird. Durch die größte Gruppe von Migrantinnen und Migranten, die wie Özlem Demirels Familie in den letzten Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sind, besteht sogar besonders intensiver Kontakt zu linken Parteien außerhalb der EU. So war als Gastrednerin die türkisch-kurdische Exilpolitikerin Leyla Imret (Demokratische Partei der Völker) eingeladen, die Mitglieder ihrer Schwesterpartei zur Wahlbeobachtung in der Türkei aufrief und vor dem dort »ausufernden Faschismus« warnte. »Wir müssen dafür sorgen, dass die Augen der Welt am 31. März auf den Wahlen in der Türkei liegen«, betonte sie. In mehreren Redebeiträgen wurde an den Hungerstreik gegen Isolationshaft in dem Land erinnert.
ew nicht nur Tote bargen, sondern vor allem Leben retteten. Der Bundesgeschäftsführer der Partei, Jörg Schindler, hatte anfangs beim Presserundgang betont, Die Linke sei stolz auf diese Gastrednerinnen.
Nicht alle Funktionäre und Mandatsträger wollten aber die EU so oder ähnlich schonungslos beschreiben. Die Mehrheit der Delegierten stimmte dagegen, den Staatenbund im Europawahlprogramm als »neoliberal, undemokratisch und militaristisch« zu bezeichnen. In der Generaldebatte wollten auch einige nicht klar zwischen EU-Befürwortung und Internationalismus unterscheiden. Der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich nannte die EU im Zusammenhang mit dem wohl bekanntesten Lied der Arbeiterbewegung: Es heiße schließlich »Die Internationale erkämpft das Menschenrecht« und nicht »Der Nationale erkämpft das Menschenrecht«. So begründete Liebich seine Aussage: »Unser Job ist es, die Europäische Union zu retten und nach links zu verschieben«. Dem widersprach unter anderem Sebastian Rave vom Bremer Landesverband der Linken: Internationalistisch sei die EU »höchstens im Sinne der Deutschen Bank« – sie sei »ein Projekt von oben« und trotz Binnenfreizügigkeit »nach außen um so geschlossener«.
Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch sagte in seiner Rede, es stimme zwar, dass die EU »eine militaristische Komponente« habe – »und natürlich ist sie neoliberal«. Aber Kämpfe um soziale Verbesserungen seien immer »europäische Kämpfe« gewesen, betonte er. Die Linke brauche jetzt »Pragmatismus und Radikalität, aber eben auch konkrete Machtoptionen«, so Bartsch.
Bloß nicht »militaristisch«
Als Präsident des Zusammenschlusses Europäische Linke forderte Gregor Gysi, der schon diverse Parteiämter bekleidet hatte, Die Linke solle sich nicht zu negativ ausdrücken. Statt die EU heute schon »militaristisch« zu nennen, empfehle er die Aussage, dass seine Partei »jede Militarisierung verhindern« wolle. Gysi betonte zudem, die EU sei ein Garant für Frieden in Europa.
Ein Antrag, durch den die Vision einer »Republik Europa« Eingang ins Programm finden sollte, fand allerdings auch keine Mehrheit. Anträge, in denen friedliche Beziehungen mit Russland und Solidarität mit Venezuela gefordert wurden, konnten auf dem Parteitag aber nicht behandelt werden, weil einer Änderung des Zeitplans dafür nicht zugestimmt wurde.
Eine Mehrheit gab es aber immerhin dafür, den friedenspolitischen Teil des Programms »Für ein solidarisches Europa der Millionen, gegen eine Europäische Union der Millionäre« darin weiter vorn zu platzieren.
junge welt, Claudia Wangerin , 26.02.2019