Großmanöver: Nach Defender ist vor Defender!

Es hätte das größte US-Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges werden sollen: Geplant war, im Rahmen von „Defender Europe 2020“ eine US-Division (20.000 SoldatInnen) aus den USA 4.000km quer durch Europa bis an die Grenze zu Russland zu verlegen. Insgesamt hätten sich 37.000 SoldatInnen an dem Säbelrasseln gegen Russland beteiligen sollen, 4.000 davon aus Deutschland. Allerdings hat das Corona-Virus den Militärs einen Strich durch die Übung gemacht, wie Mitte März 2020 in der Presse berichtet wurde: „Alle Truppenbewegungen in Europa [sind] gestoppt […]. Damit endet das größte Manöver der USA in Europa seit 25 Jahren recht unspektakulär. Statt der ursprünglich geplanten 20 000 wurden lediglich rund 6000 Soldaten über den Atlantik nach Europa verlegt. Auch die 20 000 Stück Ausrüstung – vom Panzer bis zum Transportfahrzeug – haben Europa nicht in Gänze erreicht. Die noch auf dem Atlantik befindlichen Schiffe haben die Order zum Umkehren erhalten.“

Wer allerdings glauben sollte, damit hätten sich ähnliche Großspektakel auf absehbare Zeit erledigt, der täuscht sich gewaltig. Denn Defender Europe soll künftig regelmäßig stattfinden: Im einen Jahr in etwas abgespeckter Form (die US-Regierung hat für 2021 mit 150 Mio. Dollar etwas weniger als die Hälfte der diesmaligen Summe beantragt) und das Jahr darauf dann wieder in derselben Größenordnung. Nach Defender ist also vor Defender!

So problematisch dies auf der einen Seite auch ist, ermöglicht es andererseits aber auch der Friedens- und Antikriegsbewegung, ihre Proteste, die diesmal recht ad-hoc ausgeplant werden mussten, mit einem deutlich längeren Vorlauf anzugehen. Und das ist aus einer ganzen Reihe von Gründen auch dringend notwendig:

Da wären einmal natürlich direkte Beeinträchtigungen für die Bevölkerung, die mit derlei Manövern einhergehen. Sie reichen von der Lärmbelästigung bis hin zu Verkehrsbeeinträchtigungen – trotz der abgespeckten Manöverversion streifte zum Beispiel ein mit Panzern für Defender 2020 beladener Zug ein Brückenbauwerk, sodass zwischenzeitlich Teile der B 156 auf gesperrt werden mussten. Dann kommt der ganz grundsätzliche Irrsinn dazu, in Zeiten des immer bedrohlicher werdenden Klimawandels Unmengen an Sprit für ein Großmanöver hinauszupusten, das zu allem Überfluss nichts weiter erreicht, als die ohnehin bereits extrem angespannten westlich-russischen Beziehungen weiter zu belasten.

Und schließlich sprechen wir hier über immense Beträge, die in den militärischen Bereich geleitet werden und so einer zivilen Verwendung nicht mehr zur Verfügung stehen. Da wäre einmal der indirekte Effekt zu nennen, dass das Manöver zur weiteren Verschlechterung der westlich-russischen Beziehungen beiträgt, die dann wiederum als Rechtfertigung für die seit Jahren steigenden Rüstungsausgaben herangezogen werden: Das gilt sowohl für die NATO, die ihre Ausgaben nach eigenen Angaben von 896 Mrd. Dollar (2015) auf 1.040 Mrd. Dollar (2019) massiv steigerte. Dasselbe Muster zeigt sich auch bei der Europäischen Union, wo die Militärbudgets der Einzelstaaten von 200 Mrd. Euro (2015) auf 223 Mrd. Euro (2018, neuere Zahlen hat die EU-Verteidigungsagentur bislang nicht veröffentlicht) emporschnellten. Deutschland ist hier einer der wesentlichen Verursacher: Hier wuchs der Militärhaushalt von 33 Mrd. Euro (2015) auf 45,1 Mrd. Euro (2020) an.

Das Großmanöver wirkt aber noch auf eine deutlich direktere Weise auf Finanzfragen und -budgets ein: Defender Europe sollte und soll die militärische Transportinfrastruktur (v.a. Schienen, Brücken, Straßen) auf Herz und Nieren prüfen und dabei Schwachstellen identifizieren, die anschließend vor allem im Rahmen des EU-Programms „Militärische Mobilität“ behoben werden sollen. Dafür schlug die EU-Kommission bereits im Mai 2018 vor, im nächsten EU-Haushalt 6,5 Mrd. Euro zu veranschlagen. Auch wenn dabei gerne vorgegaukelt wird, diese Gelder hätten auch einen zivilen Nutzen, dies ist fast nirgends der Fall: Brücken zum Beispiel in die Lage zu versetzen, dass sie von militärischen Schwertransporten überquert werden können, hat keinerlei zivilen Mehrwert. Zwar ist aufgrund interner Querelen im Augenblick unklar, ob der Betrag in dieser Höhe auch im endgültigen EU-Haushalt verankert werden wird. Sollte dies nicht gelingen, dürften Gelder aus nationalen „Infrastrukturtöpfen“ mobilisiert werden – so oder so, klar ist: es werden beträchtliche Summen in die Hand genommen, um für eine schnelle Mobilmachung gegenüber Russland gerüstet zu sein.

Wir bekommen gerade schmerzhaft vor Augen geführt, wo die wahren Probleme liegen: Vom Corona-Virus bis hin zum Klimawandel ist das Militär dabei keine Hilfe. Im Gegenteil, es verschlingt vielmehr Ressourcen, die dringend für die Bewältigung dieser Herausforderungen benötigt werden. Aus diesem und den anderen genannten Gründen wird es deshalb notwendig sein, auch künftig Flagge gegen das Defender-Manöver zu zeigen.