Positionspapier: Soziale Rechte in der Corona-Krise

GUE/NGL-Fraktion im Europaparlament
Strategische Arbeitsgruppe Arbeitnehmer*innenrechte, Stand: 28.03.2020

Null Entlassungen
Alle Arbeitnehmer*innen sollten vor Entlassungen geschützt sein. Dies umfasst den Schutz befristeter Beschäftigungsverhältnisse und von Zeitarbeitsverhältnissen vor Nichterneuerung, wie auch den Status von Scheinselbständigen.

Niemanden zurücklassen
Bei allen Maßnahmen ist der Schutz der arbeitenden Menschen vorrangig. Dies schließt atypische und prekäre Arbeit ein. Dazu gehören Wander- und Plattformarbeit, Grenzgängerinnen und Saisonarbeiterinnen, Arbeitslose, Selbständige, Arbeit an einem isolierten Arbeitsplatz und Personen, die trotz Arbeit unter Armut und Obdachlosigkeit leiden.
Wasser- und Stromrechnungen sollten für alle Bedürftigen während der Krise annulliert werden. Alle COVID19-bezogenen Kosten für ärztliche Behandlung sollten vollständig erstattet werden. Eltern, die kleine Kinder betreuen, sollten Sonderurlaub zur Kinderbetreuung erhalten.
Die Europäische Union sollte der revidierten Europäischen Sozialcharta beitreten und unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um die darin enthaltenen Rechte zu garantieren. Alle Mitgliedstaaten sollten die revidierte Charta ratifizieren. Die europäische Säule der sozialen Rechte sollte vollständig umgesetzt werden, um Armut und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen.

Arbeit und Einkommen aufrechterhalten – ein Schutzschirm für Arbeitnehmer*innen
Die zeitweise Aussetzung von Arbeitsverträgen muss finanziell ausgeglichen werden, damit Arbeitnehmer*innen und Bürger*innen ihren Lebensunterhalt jetzt und nach der Krise bestreiten können. In Ländern, die Kurzarbeit einführen, darf die Höhe des Kurzarbeitergeldes oder der Sozialleistungen keinen Menschen an den Rand der Armut treiben.
Während finanzielle Mittel und Subventionen die Beschäftigten schützen und Unternehmen in Schwierigkeiten unterstützen, müssen Entlassungen und Missbrauch verhindert werden.
Unterstützungsmaßnahmen sollten keine Garantie für die Dividende der Aktionäre sein.
Beschäftigte im Gesundheitswesen, Pflegekräfte, Verkäufer*innen, Lastwagenfahrer*innen, Lebensmittel- und Postzusteller*innen haben sich während der Pandemie als „systemrelevant“ für unsere Gesellschaften erwiesen. Die Arbeitsbedingungen, arbeitsrechtliche Bestimmungen und Gehälter sollten daher unverzüglich verbessert werden.
Diese Krise macht deutlich, dass Frauen die Mehrheit der Beschäftigten in den systemrelevanten Bereichen ausmachen. Es ist daher wichtig, dass diese Berufe aufgewertet werden und dass endlich gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit durchgesetzt wird.

Stärkung der Tarifverträge
Tarifverträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sowie Drei-Parteien-Vereinbarungen, in Übereinstimmung mit den Traditionen der Mitgliedstaaten, sind ein wichtiges Instrument, um sich auf Maßnahmen zum Schutz der Löhne, des Kündigungsschutzes und zur Förderung der wirtschaftlichen Erholung zu einigen. Tarifverhandlungen sind mit Abstand eines der besten Instrumente, um die demokratischen und sozialen Rechte der Arbeitnehmerinnen zu gewährleisten und zu garantieren, dass „niemand zurückgelassen“ wird.
Die Kommission und die Mitgliedstaaten müssen die Tarifverhandlungssysteme in allen Mitgliedstaaten und auf allen Ebenen aktiv fördern und stärken, insbesondere für Arbeitnehmerinnen in atypischen und prekären Beschäftigungsverhältnissen und vor allem dort, wo diese Systeme durch die Troika-Politik beschädigt wurden. Gewerkschaften müssen sich Gehör verschaffen können, denn sie vertreten die Arbeitnehmer*innen während und nach dieser Krise. Dazu gehören Tarifverhandlungen und das Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen. Tarifverhandlungen ohne den Druck kollektiver Maßnahmen, wie z.B. Streiks, sind kollektives Betteln.

Gesundheit vor Gewinn
In Anbetracht der Pandemie müssen, vor allem bei den notwendigen Schutzmaßnahmen gegen CORONA, höchste Standards bei Arbeitsbedingungen, Löhnen, Arbeitszeit und insbesondere beim Gesundheitsschutz gewährleistet werden. Dies bedeutet unter anderem, dass die flächendeckende Verfügbarkeit von Schutzausrüstung gewährleistet ist und räumliche Distanzierung am Arbeitsplatz umgesetzt werden muss. Wenn eine Ausgangssperre notwendig ist, sollte sie alle nicht wesentlichen Produktionszweige umfassen. Das gleiche Schutzniveau muss auch für Arbeitnehmerinnen in Heimarbeit gewährleistet werden. Arbeitnehmerinnen sollten nicht zur Arbeit gezwungen werden können, wenn Risiken für ihre Gesundheit und eine das Risiko einer CORONA Infektion bestehen. In mehreren Fabriken haben die Beschäftigten die Initiative ergriffen, um die Produktion an den Grundbedürfnissen der Menschen und der Gesellschaft zu orientieren und dementsprechend zu verändern. Das ist die Art von Industrie, die wir wollen. Diese Praktiken sollten gefördert werden.

Daseinsvorsorge in öffentliche Hand
Der öffentliche Dienst ist unsere vorderste Verteidigungslinie. Die Beschäftigten in diesem Sektor sollten geschützt, angemessen finanziert und privatisierte Infrastruktur wieder in öffentliches Eigentum überführt werden. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen und andere Beschäftigte in der systemrelevanten Infrastruktur sollten während der Krise Anspruch auf eine monatliche Prämie haben. Der öffentliche Gesundheitssektor wurde durch Sparmaßnahmen und die Politik der Troika abgebaut und in vielen Mitgliedstaaten privatisiert. Die Europäische Union sollte die Daseinsvorsorge als öffentliche Aufgabe anerkennen und respektieren und sie vor Marktmechanismen schützen. Die Bedeutung dieses Sektors und der wissenschaftlichen Forschung ist während dieser Krise deutlich geworden. Durch eine öffentliche Finanzierung können in öffentlicher Hand Maßnahmen getroffen werden, um sicherzustellen, dass Impfstoffe und die Behandlungen von Covid19 weithin kostenlos verfügbar werden.

Ein Ort zum Leben für Alle
Die Wohnung muss während der gesamten Krise und darüber hinaus für alle geschützt werden.
Zwangsräumungen müssen verboten werden. Kreditnehmerinnen sollten die Möglichkeit erhalten, die Zahlungen auf Wohnungskredite für die Dauer der Krise auszusetzen. Leerstehende Hotels und andere Unterkünfte sollten für die Betreuung von Obdachlosen und von Mitarbeiterinnen des Gesundheitswesens, die isoliert werden müssen, genutzt werden. Die Unterbringung in Lagern sollte vermieden werden.

Was immer nötig ist
„Sie haben die Pfennige gezählt, wir zählen die Toten.“ Die Sparmaßnahmen haben private Profite über das öffentliche Gesundheitswesen gestellt. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte nicht ausgesetzt, er sollte abgeschafft werden. Wir brauchen einen „was immer nötig ist“-Ansatz bei der öffentlichen Gesundheit und der Solidarität. Die Gefahr, dass der wirtschaftliche Aufschwung auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen, der Armen und der öffentlichen Infrastruktur erfolgt, sollte durch Maßnahmen wie eine Korona-Vermögenssteuer, eine Finanztransaktionssteuer und effektive Mindestkörperschaftssteuersätze entgegengewirkt werden, die den Reichsten ihren Anteil bei der Finanzierung abverlangen. Öffentliche Investitionen werden während der Erholungsphase entscheidend sein, um die Nachfrage zu stützen und anschließenden für die soziale und ökologische Transformation. Im Jahr 2008 hat die Europäische Union die Banken gerettet. Jetzt ist es an der Zeit, die Menschen zu retten. Die Folgen von CORONA sollten nicht von Arbeiterinnen, Steuerzahler*innen, Arbeitslosen noch von Menschen bezahlt werden, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, sondern von großen profitablen Unternehmen, Privatbanken, von IT- und Internet-Giganten, die die öffentliche Infrastruktur und gut ausgebildete Arbeitskräfte nutzen, aber zum Teil von einer wachsenden Zahl schlecht bezahlter Arbeiter, Scheinselbständiger und Beschäftigen in der Auslieferung getragen werden, während sie Tarifverhandlungen ablehnen und Steuern vermeiden.