EU-Mindestlohn braucht rote Linien statt unverbindlicher Kriterien
Die EU-Kommission stellte heute ihre Eckpunkte für eine geplante EU-Mindestlohn-Richtlinie vor. Dazu erklärt Özlem Alev Demirel, Mitglied im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL) sowie sozial- und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der LINKEN im Europaparlament:
Entscheidend für die Bekämpfung von Armutslöhnen ist, wie hoch die Lohnuntergrenze in einem EU-Land angesetzt wird. Hierzu muss es klare Kriterien geben, die in keinem Mitgliedstaat unterboten werden dürfen. Doch genau hier versagt der heutige Vorschlag der EU-Kommission. Die Initiative enthält zwar sinnvolle Kriterien, die für die Setzung der Mindestlöhne in den Mitgliedstaaten herangezogen werden müssen, doch bleiben sie unkonkret. Die EU-Kommission hätte klare Mindestbedingungen verankern müssen, die unmissverständlich und nach oben offen sind, aber nach unten eine klare rote Linie ziehen. Dafür streitet DIE LINKE im Europaparlament.“
„Vage Definitionen hingegen helfen nicht weiter. Daher unterstützen wir die Forderungen des Europäischen Gewerkschaftsbundes ETUC für eine doppelte Grenze für Mindestlöhne in der EU, die nach Lage in den Mitgliedstaaten nur oberhalb des 60 Prozent Median-Lohns (Kaitz-Index) und 50 Prozent des Durchschnittslohns liegen dürfen. Denn da, wo der Median-Lohn in Mitgliedstaaten zu niedrig liegt, braucht es eine zweite offizielle Grenze. Allein mit dem Kaitz-Index müsste der Mindestlohn in Deutschland bereits seit einigen Jahren etwa bei zwölf Euro liegen. Diese doppelte Grenze würde in quasi allen Mitgliedstaaten zu einer Erhöhung der Mindestlöhne führen und das ist bitter Notwendig.”
„Zu begrüßen ist der in den EU-Eckpunkten enthaltene Vorschlag zur Stärkung der Tarifbindung. Denn die Skepsis vieler skandinavischer Gewerkschaften gegenüber einer EU-Initiative ist mit Blick auf EU-Entscheidungen in der Vergangenheit nicht unbegründet. Bisher hatte die EU mit einer Politik der Deregulierung einen eindeutig negativen Beitrag zur Lohnentwicklung in Europa geleistet. Durch die Konkurrenz auf dem europäischen Binnenmarkt zu Beginn der 2000er Jahre wurde der Druck auf Löhne massiv erhöht. In vielen Mitgliedstaaten ist die Tarifbindung zurückgegangen. Kämpfe um Arbeitssicherheit, gute Arbeitsbedingungen und steigende Löhne wurden erschwert und der Mindestlohn-Realwert blieb zu niedrig. Aktuell ist jede/r zehnte abhängig Beschäftigte in der EU von Armut bedroht und kann von seiner/ihrer Arbeit nicht leben, insbesondere, wenn eine Familie versorgt werden muss. Um diesen Trend zu durchbrechen, muss nun in der EU auch über diese Themen verstärkt gesprochen werden. Dass die Initiative überhaupt erst in Angriff genommen wurde, hat mit dem Unmut der Bevölkerungen und Gewerkschaften über diese Entwicklungen zu tun.“
„Wir als Linke haben uns auch für eine EU-Mindestlohninitiative stark gemacht. Klar ist dabei: Die EU-Kommission selbst darf keine Lohnpolitik machen, diese obliegt der Tarifautonomie. Die Kommission muss lediglich den unteren Rahmen für Mindestlöhne verankern, damit die Abwärtsspirale und die negative Entwicklung gestoppt wird und damit die EU-Institutionen in Zukunft nicht mehr Tarifverträge und Mindestlöhne in Frage stellen können. Der Hinweis, dass in Mitgliedstaaten, in denen die Tarifbindung weniger als 70 Prozent der abhängig Beschäftigten umfasst und ein Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung erstellt werden muss, ist zu begrüßen. Denn es kann nicht sein, dass in 14 EU-Mitgliedsstaaten nur weniger als die Hälfte der abhängig Beschäftigten durch einen Tarifvertrag abgesichert ist. Dass die Tarifbindung nach dem Vorschlag der Kommission zumindest in besonders prekären Bereichen angehoben werden soll, ist ein Schritt in die richtige Richtung.“
„Die Linke wird im Parlament dafür kämpfen, dass dieses zarte Pflänzchen nicht durch den Einfluss von arbeitgebernahen Lobbygruppen und Mitgliedstaaten verwässert werden. Wenn die EU-Kommission jetzt einen Beitrag für bessere und höhere Löhne leisten möchte, kann sie mit unserer Unterstützung rechnen. Bei Vorschlägen für eine Stagnation der Lohnentwicklung oder gar für eine Abwärtsspirale, werden wir entschieden dagegen angehen. Alle Maßnahmen, die durch die Hintertür den Druck auf Löhne und Tarifverträge erhöhen, werden wir konsequent ablehnen.“
Im Vorfeld dieser Mindestlohn-Richtlinie gaben wir eine Studie in Auftrag, die erstmals die Mindestlohn-Regime der EU28 genau unter die Lupe nahm: Die Studie kann hier angesehen werden.