PESCO: Tiger oder Bettvorleger?

von Özlem Alev Demirel

Als Ende 2017 die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (engl. PESCO) ins Leben gerufen wurde, löste dies im Lager der Euromilitaristen regelrecht enthusiastische Reaktionen aus. Den Vogel schoss der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ab, der frohlockte, die bis dahin „schlafende Schönheit“ des EU-Vertrags sei nun „erwacht“. In der Tat wurden mit dem neuen Mechanismus große Erwartungen verknüpft, allerdings machte die anfängliche Begeisterung rasch einer Art PESCO-Ernüchterung Platz. Vor diesem Hintergrund mahnte das Europäische Parlament im Oktober in aller Deutlichkeit an, sich wieder auf die ursprüngliche Kernidee zu fokussieren: den Aufbau eines europäischen Rüstungskomplexes.

Zentral ist, dass die durch das selbsterklärte deutsch-französische Führungsduo festgezurrte PESCO-Architektur keineswegs unumstritten ist: Denn um teilnehmen zu dürfen, mussten sich die PESCO-Staaten auf die Einhaltung von 20 bindenden Kriterien verpflichten. Dazu gehören Dinge wie eine reale Steigerung der Verteidigungshaushalte und Rüstungsinvestitionen, die Beteiligung an europaweiten Rüstungsgroßprojekten und die Aufstellung europäischer Truppenverbände. Unter deutsch-französischer Führung soll dadurch ein europäischer Rüstungskomplex entstehen, mit dem eine beträchtliche Vergrößerung der militärischen Schlagkraft einhergehen soll.

Eine Nicht-Einhaltung dieser Kriterien kann zu einem Ausschluss aus der PESCO führen, sodass hierüber – theoretisch – ein mächtiges Sanktionsinstrument geschaffen wurde, um die teilnehmenden Länder auf Linie zu bringen. Versüßt wurde dies damit, dass PESCO-Projekte künftig wesentlich über den in Anbahnung befindlichen milliardenschweren „Europäischen Verteidigungsfonds“ (EVF) finanziert werden sollen. Mutmaßlich aus Sorge, bei der Vergabe dieser Gelder leer auszugehen, schlossen sich schlussendlich 25 EU-Staaten (also alle außer Dänemark und Malta) der PESCO an.

Weil alle Länder ihre präferierten Vorhaben (für ihre Unternehmen) durchdrücken wollten, wurden in schneller Folge mittlerweile 47 PESCO-Projekte ins Leben gerufen – entgegen den ursprünglichen Planungen befindet sich darunter aber kaum ein großer Wurf, sieht man einmal von der Eurodrohne ab. Sie wurde im März 2019 in den PESCO-Rahmen überführt und ihre Entwicklung seither aus einem EVF-Vorläufer finanziert. Ansonsten verteilen sich die Projekte aber auf eine Vielzahl kleinerer Vorhaben, was genau dem Rüstungsflickenteppich entspricht, mit dem die PESCO eigentlich aufräumen sollte.

Dies geht offensichtlich auch der pro-militärischen Mehrheit im Europäischen Parlament gegen den Strich, die vergangene Woche einen Bericht zur Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit verabschiedete. Darin wurde kritisiert, dass die PESCO „ursprünglich als eine Avantgarde konzipiert war“, nun aber drohe auf den „Ansatz des ‚kleinsten gemeinsamen Nenners‘ eingeschränkt zu werden.“ Dem aktuellen Projektportfolio mangele es an „Kohärenz und strategischem Ehrgeiz“, die meisten Vorhaben trügen wenig dazu bei, die im sog. Plan für Kapazitätsentwicklung identifizierten wichtigsten Fähigkeitslücken zu schließen. Es sei erforderlich, die 47 PESCO-Projekte „entweder zu bündeln oder Projekte zu streichen“ und der Verteidigungsfonds solle auf „strategische Schlüsselprojekte“ fokussiert werden. Ferner gelte es, die Erfüllung der 20 PESCO-Kriterien zu gewährleisten, das Problem sei, dass bislang „kein effektiver Einhaltungsmechanismus“ für die Einhaltung der Kriterien etabliert sei, was geändert werden müsse.

Wie dieser Mechanismus aber konkret aussehen soll, darüber schweigt sich das Parlament aus – doch das ist tatsächlich der Knackpunkt. Bislang steht nur die „Nuklearoption“ in Form eines PESCO-Rauswurfs zur Verfügung. Weil ein solcher Schritt aber eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung (65% der EU-Bevölkerung und 55% der EU-Mitgliedsstaaten) benötigt, hat sich diese Drohung bislang zumindest als eher stumpf erwiesen. Man darf deshalb gespannt sein, mit welchen Vorschlägen der Ende des Jahres terminierte erste PESCO-Überprüfungsbericht aufwarten wird, dessen Ideen in den nächsten Projektzyklus ab 2021 einfließen sollen.

Allerdings ist es schwer zu glauben, dass der Großteil der Staaten große Begeisterung an den Tag legen wird, seine nationalen Rüstungsapparate einer deutsch-französischen Rüstungsunion zu überschreiben. Doch selbst wenn dies gelänge, wäre das Ergebnis alles andere als friedensnobelpreisverdächtig, schließlich geht es bei PESCO primär darum, die einzelstaatlichen Militärapparate zu einer Militärmacht Europa zusammenzuschnüren. Es soll damit zu einem der wesentlichen Instrumente werden, um die „Sprache der Macht“ zu lernen, wie der EU-Außenbeauftragte Joseph Borell kürzlich vor einiger Zeit : „Um zu vermeiden, dass wir zu den Verlierern des Wettbewerbs zwischen den USA und China werden, müssen wir die Sprache der Macht neu erlernen und uns selbst als geostrategischen Akteur der obersten Kategorie begreifen. […] Das Problem Europas ist nicht die fehlende Macht. Das Problem ist vielmehr der mangelnde politische Wille, diese Machtfaktoren zu bündeln, um ihre Kohärenz sicherzustellen und ihre Wirkung zu maximieren.“