NATO 2030: Strategie der Konfrontation

Özlem Alev Demirel, stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments (SEDE), erklärt zum bevorstehenden NATO-Gipfel in Brüssel:

„Auf dem anstehenden NATO-Gipfel soll die strategische Neupositionierung der NATO politisch untermauert und abgesegnet werden. Das Besondere an diesem Gipfel besteht darin, dass er der erste nach dem Regierungswechsel in den USA ist. Kein Zufall ist, dass dieser Gipfel direkt nach dem G7-Treffen anberaumt wurde. Angesichts der divergierenden Interessen der Nato-Mitgliedsstaaten in den letzten Jahren, soll jetzt wieder deutlich gemacht werden, dass die NATO, mit den USA an ihrer Spitze wieder zurück ist und dass sie das militärische Bündnis des Westens ist.“

„Die zentrale Nachricht soll also lauten ‚Einheit im Bündnis‘, und ‚America is back‘ und damit auch, dass die weltpolitisch ‚strategische Denkweise‘ der NATO wieder ganz hergestellt ist.“

„Als Grundlage für den neuen geographischen Schwerpunkt dient der auf Geheiß von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erstellte Bericht ‚NATO 2030: United for a New Era‘, an dem federführend auch Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière beteiligt war. Das Papier soll maßgeblich in die Neufassung des noch aus dem Jahr 2010 stammenden Strategischen Konzeptes der NATO einfließen, die auf dem Gipfel ebenfalls in Auftrag gegeben werden soll. Die NATO müsse angesichts ‚zunehmender geostrategischer Konkurrenz‘ die ‚Herausforderungen durch China‘ in ‚alle existierenden Strukturen einfließen‘ lassen, so der NATO-2030-Bericht. Dies gelte nicht nur in der unmittelbaren Nachbarschaft, sondern auch weiter draußen im Indo-Pazifik.“

„Die zunehmende Militarisierung der indopazifischen Region verschärft existierende Konflikte noch weiter. Abgesehen davon hat die NATO sich laut ihrem Grundlagenvertrag zudem dafür zuständig erklärt, ‚die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten‘ – sie hat im indopazifischen Raum also schlichtweg nichts verloren.“

„Dennoch soll nun, nachdem schon die USA, Großbritannien, Frankreich und zuletzt auch Deutschland die Militärpräsenz erhöhen, auch die NATO als Ganzes ihren Hut in den Ring werfen. Damit dreht die NATO aber an exakt der Rüstungsspirale weiter, über die sie sich so lautstark beklagt, was ihr Agieren mehr als unglaubwürdig macht. Das neue Konzept der NATO verheißt für das friedliche Zusammenleben der Völker und für die friedliche Beilegung von bestehenden Konflikten nichts Gutes.“

„Fakt ist aber, dass die NATO schon seit dem Fall des Eisernen Vorhangs immer wieder nach einer neuen Legitimation sucht und dazu Feindbilder benötigt, die sie nach Russland nun auch in China gefunden hat. Während mit Blick auf Russland noch von der ‚Rückkehr der Konfrontation‘ gesprochen wird, wird das Verhältnis zur China als eine ‚systemische Rivalität‘ definiert. Hinter dieser Differenzierung steckt das Kalkül das gemeinsame Vorgehen von Russland und China zu erschweren.“

„Selbstverständlich ist China nicht willkürlich ausgesucht. Vielmehr geht es um die Frage der ökonomischen Vorherrschaft. Denn nur wer die ökonomische Vorherrschaft hat, kann auch die politische Nummer 1 sein. Und China tritt verstärkt als ökonomische Weltmacht auf, investiert in den verschiedenen Regionen der Welt und wächst rapide. Wenn nun wichtige NATO-Staaten aus der EU das Bündnis mit den USA intensivieren wollen, dann nicht, weil sich die Widersprüche oder Handelskriege zwischen diesen und den USA mit der Biden-Administration in Luft aufgelöst hätten, sondern weil all diese Mitgliedsstaaten sich einig sind, dass der größte Teil des Kuchens nach wie vor ihnen zustehe.“    

„Doch wir bleiben dabei: Wir brauchen Friedensdiplomatie statt Säbelrasseln und Eskalation für ökonomische Interessen!“