EU-Gipfel: Waffenstillstand und Diplomatie statt nächster Rüstungswelle

Özlem Alev Demirel, außenpolitische Sprecherin von DIE LINKE im Europaparlament, erklärt zur informellen Tagung der Staats- und Regierungschef:innen der EU in Versailles am 10. und 11. März 2022:

„Endlich erreichen uns erste zaghafte Meldungen aus dem Ratsgipfel, man wolle sich intensiver für eine politisch-diplomatische Lösung und einen Waffenstillstand in der Ukraine bemühen. Denn die Eskalationsrhetorik, die in den vergangenen Wochen zu hören war, führte lediglich in eine Sackgasse und zu mehr Leid und Tod in der Ukraine. Da ich seit Beginn des zu verurteilenden russischen Angriffskrieges dafür geworben habe, alle diplomatischen Möglichkeiten zu mobilisieren, begrüße ich derartige Bemühungen – sofern sie auch wirklich seriös sind.“

„Ansonsten steht der Gipfel ganz im Dienste der Aufrüstung und Militarisierung. Sogar das aktuell in Arbeit befindliche neue EU-Grundlagendokument, der Strategische Kompass, wurde erneut angepasst: das Ziel bleibt dabei, die Europäische Union buchstäblich für das neue Zeitalter der Großmachtkonkurrenz zu rüsten. Auch erneute Waffenlieferungen über die so genannte Europäische Friedenfazilität sind im Gespräch. Ende März soll der Strategische Kompass im Parlament verabschiedet werden.“

„Die Zeichen der Zeit deuten auf Aufrüstung innerhalb der Europäischen Union. Nicht nur in Deutschland wurden diesbezüglich massive Maßnahmen ergriffen. Das vermeintlich neutrale Österreich hat seine Militärausgaben um etwa 40 Prozent und Polen seine um etwa 30 Prozent erhöht. Dies liegt deutlich über den von der NATO geforderten Zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts. Dänemark ist nun offiziell Teil der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, gegenüber der die Dänen sich bislang ein Opt-Out vorbehalten hatten. Frankreich kündigt unterdessen ‚historische Entscheidungen‘ an, insbesondere durch ‚die Verstärkung von Investitionen in die Verteidigung‘ – um nur einmal die jüngsten Beispiele zu nennen.“

„Immer wieder ist zu hören, die Ukraine würde auch, ‚unsere‘ Werte verteidigen. Doch in Wahrheit instrumentalisiert die Europäische Union den schrecklichen Krieg in der Ukraine, um schon lange geplante machtpolitische Rüstungsmaßnahmen durchzupeitschen und die Wirtschaftsmacht EU nun auch als schlagkräftige Militärmacht zu etablieren. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Ukraine-Krieg zwei Ebenen hat. Zum einen der brutale Angriffskrieg, der von Russland unverzüglich beendet werden muss. Und zum zweiten der schon lange anhaltende Machtkampf zwischen der NATO – USA und EU – und Russland um die Ausweitung der jeweils eigenen Einflusssphären. Mit den aktuellen Sanktionen und dem weitreichenden Rückzug westlicher Unternehmen aus Russland hat dieser Machtkampf eine neue Dimension erreicht, dessen Kosten nicht nur die Bevölkerungen in Russland oder der EU bezahlen. Die steigenden Lebensmittelpreise spitzen auch globale Hungersnöte zu, die in der Vergangenheit nur unzureichend bekämpft wurden.“

„So macht auch die beim Gipfel beratene Abkopplung von russischen Öl- und Gasimporten deutlich, dass Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte lediglich Feigenblätter sind. Nachdem die iranische und venezolanische Bevölkerung durch US-geführte Sanktionen und Blockaden beinahe an den Rand einer humanitären Notlage gebracht wurde, kann der nun wiederbelebte Fluss von iranischem und venezolanischem Öl und Gas gar nicht schnell genug gehen. Da es bisher immer hieß, Sanktionen gegen den Iran oder Venezuela seien alternativlos, weil sich mit diesen Regierungen nicht verhandeln ließe, zeigt sich insbesondere mit Blick auf den Iran, dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte lediglich Feigenblätter sind, um geopolitische und ökonomische Interessen durchzusetzen.“

„Offensichtlich scheint da, wo ein Wille ist, auch ein Weg zu sein. Für eine finanzielle Entlastung der europäischen Bürgerinnen und Bürger scheint jedoch kein Wille da zu sein. Die vielen Milliarden Euro, die nun in die militärische Hochrüstung der EU wandern, müssten eigentlich verwendet werden, um bei steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen für einen sozialen Ausgleich zu sorgen. Von derlei Beschlüssen sind die Staats- und Regierungschefs der EU jedoch meilenweit entfernt.“