Merz meets Erdoğan – Spitzentreffen der Doppelmoral
Özlem Alev Demirel, außen- und friedenspolitische Sprecherin von Die Linke im Europaparlament und Mitglied der Interparlamentarischen Ausschusses EU-Türkei, erklärt zum heutigen Treffen von Friedrich Merz und Recep Tayyip Erdoğan:
„Das heutige Treffen zwischen Friedrich Merz und Recep Tayyip Erdoğan steht exemplarisch für die gegenseitige Doppelmoral und verdeutlicht das wahre Gesicht beider Seiten – unkaschiert.
Von dem Treffen war wenig zu erwarten, außer, dass Erdoğan erneut Rückendeckung für seine autoritäre Politik gegen die Opposition erhält und ein weiterer Tag schmutziger (geo-)politischer Deals bevorsteht.
Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass die Europäische Union die Partnerschaft mit der Türkei zunehmend in ihre eigenen militärischen Strategien einbeziehen möchte, nachdem die türkische Rüstungsindustrie in den letzten Jahren massiv ausgebaut wurde. Nun möchte man Ankara am liebsten in den Ausbau der Europäischen Rüstungs- und Produktionskapazitäten einbinden und zugleich von den günstigen Produktionsbedingungen und Ressourcen der Türkei profitieren.
Neben dem menschenverachtenden Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei – bei dem die Menschenrechte, sowohl der Geflüchteten als auch Oppositioneller in der Türkei geopfert wurden – stehen somit die nächsten schmutzigen Abkommen auf der Tagesordnung, darüber können auch die kleinen Scharmützel zwischen Merz und Erdoğan nicht hinwegtäuschen.
In einer Zeit, in der die USA und Großbritannien mit Hilfe Israels den Nahe Osten neu ordnen und die EU vom ressourcenreichen „Menü“ der Region bislang wenig abbekommt, versuchen Deutschland und Brüssel, die Potenziale der Türkei zu nutzen und den politischen Einfluss Erdoğans im Nahen Osten einzubinden, insbesondere in Bezug auf seine Beziehungen zu den neuen Machtstrukturen in Syrien und zur Hamas. In dieser geopolitisch sensiblen Phase spielt die Türkei sowohl in Syrien als auch in Palästina eine wachsende Rolle.
Während die USA und Großbritannien längst fest am Verhandlungstisch sitzen, versuchen Berlin und Brüssel nun, ihren Platz durch fragwürdige Deals und strategische Zugeständnisse zu sichern, trotz der Tatsache, dass Repression und politische Verfolgung in der Türkei unvermindert anhalten, ja sogar zunehmen, insbesondere gegenüber der einstigen Staatspartei CHP.
Auf der anderen Seite nutzt das Erdoğan-Regime weiterhin eine antiimperialistische Rhetorik, während es schon immer bereit ist, Land, Ressourcen und Einfluss zur Sicherung der eigenen Macht zu verkaufen. Seine Treffen – ob mit Trump, europäischen Spitzenpolitiker:innen oder nun mit Merz – verdeutlichen vor allem eines: Ankara betreibt keine Außenpolitik der Unabhängigkeit, sondern eine Politik der Selbstermächtigung, statt der Selbstbestimmung der Völker.
Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass nun formell ein „Friedensprozess“ mit den Kurd:innen angekündigt wurde. Denn bislang sind keinerlei konkrete Schritte unternommen worden, die auch nur annähernd den berechtigten Forderungen der Kurdinnen und Kurden entgegenkommen, nicht einmal den einfachsten, wie der Anerkennung der kurdischen Muttersprache oder der Freilassung willkürlich inhaftierter Politiker:innen wie Selahattin Demirtaş.
Das Ergebnis des Merz Erdoğan Treffens ist ein also zynisches Machtspiel, bei dem beide Seiten Werte und Prinzipien predigen, die sie im selben Atemzug verraten.“