Rüstung vor Richtlinien: Machtpolitik und Rüstungsexporte der Europäischen Union

 

von Jürgen Wagner
herausgegeben von Ö̈zlem Alev Demirel, MdEP

Jahr um Jahr erreichen die Waffenausfuhren neue Spitzenwerte und die Europäische Union behauptet in der Rangliste der weltweiten Rüstungsexporteure hinter den USA, aber noch vor Russland den zweiten Platz. Ein Hauptverantwortlicher hierfür ist Frankreich, das nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes SIPRI seine Rüstungsexporte in den letzten Jahren um unglaubliche 72 Prozent gesteigert hat. Aber auch die deutschen Exportgenehmigungen haben im vorigen Jahr mit rund 8 Mrd. Euro ein Allzeithoch erreicht. Augenscheinlich sind die europäischen Rüstungsexportrichtlinien doch nicht so streng, wie von interessierten Kreisen gerne beklagt wird. Wie sonst hätten die EU-Staaten in den letzten zwanzig Jahren Waffen im Wert von über 17,9 Mrd. Euro nach Saudi-Arabien, von 11,1 Mrd. Euro in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und von 4,8 Mrd. Mrd. Euro an die Türkei liefern können, um nur einige Beispiele zu nennen.
Immer wieder tauchen dabei europäische Waffen in Krisengebieten auf und werden dort auch eingesetzt. So förderte das Investigativprojekt #FrenchArms zutage, dass Frankreich 2015 24 Rafale-Kampfjets an Ägypten verkaufte – mindestens eines davon flog auch Angriffe in Libyen. Frankreich ist auch ein Hauptlieferant der Vereinigten Arabischen Emirate, ein Land, das nach Angaben der Vereinten Nationen im libyschen Bürgerkrieg die Seite von Kahlifa Haftar mit Waffen beliefert und dadurch systematisch das UN-Embargo verletzt.
Auch deutsches Gerät kommt auf der Seite Haftars zum Einsatz, so verwendet seine Armee Luftabwehrsysteme, die auf Militärtrucks von MAN transportiert werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls über den VAE-Umweg ins Land gelangt sind. Durch Recherchen von #GermanArms wurde außerdem zutage gefördert, dass in Deutschland gefertigte Waffenteile im Jemen-Krieg von Saudi-Arabien und auch den Vereinigten Arabischen Emiraten eingesetzt werden. Ein weiteres Land, bei dem die fatalen Auswirkungen deutscher Rüstungsexporte schonungslos vor Augen geführt werden, ist die Türkei. So wurden zwischen 2006 und 2011 insgesamt 354 Leopard-2-Panzer geliefert, ohne dass dabei Auflagen für deren Einsatz gemacht worden wären. Dieser Panzertyp war unter anderem bei der türkischen Offensive in Nordsyrien zur Bekämpfung kurdischer Kräfte zum Einsatz.
Als wichtige Lieferanten der türkischen Regierung sind Deutschland und Frankreich zudem auch mit dafür verantwortlich, dass über die Türkei auch Waffen an die international anerkannte Sarradsch-Regierung in Libyen geliefert werden.
Dies alles ist auch möglich, weil die dem Wortlaut nach eigentlich recht strengen europäischen Rüstungskontrollrichtlinien bei näherer Betrachtung löchrig wie ein Fischernetz sind. Auch ihre Aktualisierung im Herbst vorigen Jahres brachte hier keine nennenswerten Verbesserungen – der Standpunkt klingt zwar gut, erweist sich in der Praxis aber als zahnloser Tiger. Was fehlt sind vor allem unabhängige Überwachungsmechanismen, ob die EU-Exportrichtlinien verletzt werden. Und vor allem fehlen Sanktionsmöglichkeiten gegen EU-Mitgliedstaaten, die notorisch gegen besagte Richtlinien verstoßen, eine Forderung, die schon seit Jahren von der Linksfraktion Gue/Ngl erhoben wird.
Dass die EU-Staaten hieran aktuell aber nicht im Traum denken, ist umso schlimmer, da künftig mit einem weiteren Anstieg der Exporte zu rechnen sein wird: Unter deutsch-französischer Führung wird versucht, möglichst viele länderübergreifende Rüstungsprojekte auf den Weg zu bringen, mit denen – subventioniert durch einen Europäischen Verteidigungsfonds – die Weltexportmärkte aufgerollt werden sollen. Als Ziel wird eine „Strategische Autonomie“ ausgegeben, für die eine starke rüstungsindustrielle Basis und damit der hemmungslose Waffenexport als zwingend notwendig erachtet werden. Mit Deutschland und Frankreich unterminieren dabei ausgerechnet die beiden wichtigsten Antreiber des EU-Militarisierungsprozesses und die beiden „erfolgreichsten“ EU-Waffenexporteure systematisch Versuche, auf europäischer Ebene zu einem Rüstungsexportkontrollsystem zu gelangen, das diesen Namen auch verdient.
Als zentrale Bausteine für eine eigenständigen europäische Großmachtrolle gelten vor allem die wichtigsten aktuellen Großprojekte, die Eurodrohne (MALE RPAS), der Kampfpanzer (MGCS) und das Kampfflugzeug (FCAS), die aber allesamt ohne Exporte überhaupt nicht realisierbar wären. Mit dem deutsch-französischen Aachener-Vertrag wurde deshalb die Grundlage für den nahezu problemlosen Export solcher Rüstungskooperationsprojekte geschaffen und dadurch die – vergleichsweise – strengen deutschen Exportrichtlinien auf problematische Weise ausgehöhlt.
Gerade deshalb wäre es zwingend erforderlich, die europäischen Rüstungsexportrichtlinien zu verschärfen und in vergangenen Jahren hatte das Europäische Parlament in seinen Entschließungen in diesem Zusammenhang eine relativ kritische Haltung eingenommen. Leider wurden in der jüngsten Entschließung, die am 17. September vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde, viele problematische Aspekte neu aufgenommen. Plötzlich sind in der Entschließung, die auf Grundlage eines unter der Federführung einer Grünen Europaabgeordneten verfassten Berichts verabschiedet wurde, Dinge zu lesen wie, dass „Rüstungsexporte von wesentlicher Bedeutung sind, wenn es darum geht, die industrielle und technologische Basis der europäischen Verteidigungsindustrie zu stärken“ oder es wird eine „positive Rolle“ der „bi- oder multilateralen Zusammenarbeit“ in Rüstungsfragen postuliert.
Durch diese Befürwortung europäischer Rüstungskooperationsprojekte verkommen alle Aussagen, sich für einen restriktiven Umgang mit Rüstungsexporten einsetzen zu wollen, zu bloßen Lippenbekenntnissen. Einmal mehr wird hier Politik am Willen der Mehrheit der Bevölkerung vorbei betrieben, so ergab Anfang des Jahres eine von Greenpeace in Auftrag gegebenen repräsentativen Befragung, dass 70 Prozent der deutschen Bevölkerung der Auffassung ist, Deutschland solle keine Waffen mehr an Krieg führende Staaten, in Krisengebiete sowie in Länder außerhalb der EU liefern.
Weniger aufgrund der – volkswirtschaftlich eher vernachlässigbaren – Interessen der Rüstungsindustrie, sondern vor allem aufgrund machtpolitischer Erwägungen wird die Politik wohl aber weiter alles daransetzen, dem Export von Waffen Tür und Tor zu öffnen. Um die fatalen Folgen von Rüstungsexporten abmildern zu können, wird es deshalb zwingend notwendig sein, dass von zivilgesellschaftlicher Seite mehr Druck in dieser Angelegenheit entwickelt wird. Der Widerstand italienischer und französischer Hafenarbeiter, die sich weigerten Waffen für den Jemen-Krieg zu verfrachten, oder die umfassenden Proteste gegen den Rüstungskonzern Rheinmetall in Deutschland, könnten hier als Vorbilder dienen!