Eine autonome Aufrüstung?

von Christoph Marischka
Künstliche Intelligenz in der Europäischen Verteidigung: Eine autonome Aufrüstung?

Hoch fliegende Pseudo-Satelliten, die weiträumige Gebiete monatelang überwachen; Drohnenschwärme, welche die Umgebung von Feldlagern und „kritischen Infrastrukturen“ sichern; Computersysteme, die Ziele
vorschlagen und die optimale Schusslinie berechnen; Chat-Bots, die Jugendliche für den Militärdienst begeistern und die tatsächliche Lage auf fernen Gefechtsfeldern verschleiern sollen; automatisierte militärische Logistik und (Rüstungs-)Produktion: Viele der aktuellen Rüstungsprogramme der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten haben auf die eine oder andere Weise mit Künstlicher Intelligenz zu tun.
Für die Bevölkerungen in Europa stellt die aktuelle, von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) getriebene Aufrüstung der Europäischen Union eine Bedrohung dar.
Dies alleine schon deshalb, weil nicht zuletzt die Covid-19 Pandemie gezeigt hat, dass das Geld, das damit der Rüstungsindustrie zugeschustert wird, z.B. in der Pflege und im Gesundheitswesen dringend benötigt wird.
Aber auch deshalb, weil diese spezifische Form von Rüstung nicht nur das Potential hat, völlig neue Formen der Überwachung und Propaganda innerhalb Europas hervorzubringen, sondern auch eine militärische Eskalation der latenten Konflikte unter und mit Großmächten anheizt und wahrscheinlicher macht. Während es sich bei den Erwartungen an eine „Super-KI“ vor allem um einen Hype zu handeln scheint, mit dem Industrie und (Risiko-)Kapital öffentliche Gelder für ihre Profite mobilisieren wollen, finden KI-Anwendungen im Zuge der aktuellen Aufrüstungsspirale nichtsdestotrotz auf allen Ebenen Einzug in militärische Systeme und Planung.
Es droht vielleicht kein plötzlicher, aber sicherlich ein schleichender Kontrollverlust. Denn die aktuelle Aufrüstungsspirale beinhaltet nicht nur die Entwicklung von Drohnenschwärmen und Killerrobotern, sie droht auch, die gängigen Unterscheidungen zwischen Krieg und Frieden, Zivilist*innen und Kombattant*innen aufzuheben und das Gefechtsfeld völlig zu entgrenzen – wie dies in der Cyberkriegführung bereits der Fall ist.
Eine Studie der RAND Cooperation etwa, die im Auftrag der European Defence Agency in den Rüstungskatalog der EU (Capability Development Plan von 2018) eingegangen ist, prognostiziert eine nahezu vollständige Bedeutungslosigkeit des Völkerrechts nach 2035. Nationale und internationale Regularien tauchen darin primär als Hindernisse bei der Realisierung technologischer Möglichkeiten auf.
Anstatt sich an diesem irren Wettrüsten zu beteiligen, wäre es wünschenswert für unserer aller Sicherheit, wenn sich die EU mit voller Kraft für die Regulierung von autonomen Waffensystemen, Cyberwar und Propaganda einsetzen würde. Um in Frieden leben zu können, brauchen wir eine scharfe Abgrenzung des Friedens vom Krieg – der zu ächten ist, anstatt ihn auf allen Ebenen, von der Verkehrs- und Forschungspolitik bis zur Platine in unseren Mobilfunknetzen zu antizipieren und vorzubereiten. Die Kampagnen „Cyberpeace“ und „Stop Killer Robots“ geben hierzu wichtige und realisierbare Impulse. Anders als die Rüstungsindustrie werden sie jedoch nicht mit dreistelligen Millionenbeträgen jährlich von der EU-Kommission gefördert. Stattdessen fördert die Kommission bereits seit Jahren gezielt die Zusammenarbeit zwischen zivilen Hochschulen und der Rüstungsindustrie. Auch hiergegen gibt es Widerstand, der am richtigen Punkt ansetzt:
Wie viele Gelder werden in die Lösung gesellschaftlicher Probleme investiert und wie viele in die desaströse, beschleunigte und weitgehend unkontrollierte Aufrüstung der Militärapparate?