Syrien darf kein zweites Libyen werden!

Özlem Alev Demirel, friedens- und sicherheitspolitische Sprecherin von DIE LINKE im Europaparlament, erklärt zum Sturz des bisherigen syrischen Präsidenten Bashar al-Assad:

Der rasante Vormarsch der dschihadistischen Milizen in Syrien verdeutlichte wie fragil das Assad-Regime geworden war – trotz der jüngsten Annäherung an die Arabische Liga und einer Normalisierung der Beziehungen zu anderen Staaten in der Region. Syrien, seit 2011 vom Bürgerkrieg gezeichnet,  und von einem Viel-Fronten-Krieg gebeutelt, erlebte in den letzten Jahren ein zunehmend geschwächtes Regime, das weder den schwindenden Rückhalt in der Armee noch den wachsenden Unmut in der Bevölkerung aufhalten konnte. Viele Syrerinnen und Syrer hatten genug von der Vetternwirtschaft und den autoritären Strukturen des Assad-Clans. Doch der schnelle Vormarsch und überraschende Erfolg der dschihadistitschen Milizen in den vergangenen Tagen verdeutlichten, dass diese auch strategische Unterstützung im Hintergrund erhalten haben müssen.

Die aktuellen Ereignisse in Syrien deuten auch auf Entwicklungen weit über den Sturz Assads hinaus an.  Sie sind Teil eines Machtkampfes um die Neuordnung des Nahen Ostens, in dem Großmächte und regionale Akteure eine zentrale Rolle spielen. Und wie erwartet nutzen nun unterschiedliche Akteure und Staaten die Gunst der Stunde, um ihre eigenen Interessen und Vorhaben in dieser Gemengelage zu stärken. Bereits seit gestern rückt auch die Regionalmacht Israel illegal mit Panzern in die UN-Pufferzone auf den Golanhöhen vor und Netanjahu kündigte schon vor einer Weile eine Neustrukturierung des Nahen Ostens an. Während die Türkei mit offenen Unterstützung der Dschihadisten im Hintergrund versuchte und versucht die Kurden in Nordost-Syrien zu schwächen.  Der Krieg der Türkei gegen die Kurden muss endlich international gestoppt werden, und Waffenlieferungen an Ankara dürfen diesen Konflikt nicht weiter anheizen.

Währenddessen klopfen sich die Falken dies- und jenseits des Atlantiks auf die Schenkel, weil das Assad-Regime gefallen ist. Doch wer jetzt islamistische Gruppen als „gemäßigte Rebellen“ oder „Aufständische“ feiert, verkennt die Gefahr. Es bleibt ein hohes Risiko, dass das Schreckensregime Assads einfach durch ein anderes unter islamistischer Herrschaft ersetzt wird – oder dass Syrien im schlimmsten Fall ein zweites Afghanistan oder Libyen wird: ein gescheiterter Staat, geprägt von Chaos und Gewalt.
Das muss mit allen Mitteln verhindert werden.

Es darf keine Vertreibung oder Verdrängung von Volksgruppen und Glaubensrichtungen geben. Stattdessen muss es um das friedliche Zusammenleben aller Menschen in Syrien gehen – nicht um die Interessen der USA, Russlands, der Türkei, Israels oder der EU. Eine bessere Zukunft für Syrien kann nur entstehen, wenn das Selbstbestimmungsrecht der Völker geachtet wird und auch Minderheitenrechte klar geschützt und Teil einer politischen Lösung sind.