Türkei im Umbruch

Tuerkei-im-UmbruchAufsätze zur Lage in einem Land zwischen Repression und Widerstand.

herausgegeben von Özlem Alev Demirel MdEP

In der europäischen Öffentlichkeit wurde über kein Land so viel diskutiert und berichtet wie über die Türkei. Und das hat seinen Grund: Der Autokrat Erdogan und die AKP-geführte Regierung haben die Türkei zu einem Land der Unruhe, der Ungewissheit, der Widersprüche und der Hiobsbotschaften gemacht.
Nahezu alles, was in der Türkei passiert, wird mit Erdogan in Verbindung gebracht. Kein Wunder angesichts seines autokratischen Wirkens. Doch eine eindimensionale Betrachtung der Frage von Meinungsfreiheit und Menschenrechten in der Türkei könnte den Blick einengen. Die strukturellen Defizite der türkischen Wirtschaft, die Situation der Frauen, Arbeiter*innen, der in der Türkei lebenden Migrant*innen, der Flüchtlinge und der Kultur werden oftmals zu wenig betrachtet, beschrieben und analysiert. Auch bleiben die unterschiedlichsten Kämpfe – zum Beispiel der Umwelt- oder der Gewerkschaftsbewegung – in der europäischen Debatte zumeist unsichtbar. Aber es gibt sie – diejenigen, die für eine friedliche, demokratische und soziale Zukunft der Türkei kämpfen.
Diese Veröffentlichung soll einen Beitrag dazu leisten, den Blick auf die Türkei zu erweitern. Die Türkei ist ein Land im Umbruch. Ein Land zwischen Repression und Widerstand. Ein Land voller widersprüchlicher Entwicklungen in der Innen- und Außenpolitik. Ein Land in dem tagtäglich etwas Neues mit großer Reichweite passieren kann oder gar passiert. Ein Land voller Zäsuren.

In einer Aufsatzsammlung über die Türkei tagesaktuell zu bleiben, ist schwer. Während die enthaltenen Beiträge zur Jahreswende 2020/2021 geschrieben wurden, startete das Regime im März dieses Jahres eine neue Verfolgungswelle gegen Oppositionelle, zeitgleich geht der Westen wieder stärker auf die Türkei zu. So rückte die EU gemeinsam mit der Biden Administration von den angekündigten Sanktionen gegenüber der Türkei, wegen des Streits um die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer, wieder ab. Die türkische Lira fiel weiter, der Leitzins stieg an und in einer Nacht und Nebel Aktion trat der türkische Präsident per Dekret aus der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen aus. Am Tag zuvor wurde vom Obersten Staatsanwalt ein Verbotsverfahren gegen die zweitgrößte Oppositionspartei, HDP, eingeleitet. Auch wenn diese besorgniserregende Eskalationsstufe nicht unmittelbar in das Buch einfließen konnte, so sind die im Buch veröffentlichten Artikel dennoch brandaktuell, denn sie helfen, die tagespolitischen Auseinandersetzungen grundsätzlicher zu erfassen und ich verstehe dieses Buch auch als einen Beitrag, die so dringend notwendige Solidaritätsarbeit mit der Demokratiebewegung in der Türkei mit Leben und mit Argumenten zu füllen.